BAJER, FRIEDA

 

   

TRAURIGE GESCICHTE

Das ist eine wahre Geschichte. Nach dem Krieg mussten in unserer Siedlung in Sibirien viele Menschen hungern. Die Männer waren noch in der Trudarmee, und manche Frauen konnten allein ihre Kinder mit Lebensmitteln nicht versorgen. Es spielten sich grausame Geschichten ab. Eine von diesen grausamen Geschichten habe ich hier beschrieben.

Ich war noch klein. Vergessen hab ich manches.
Aber an eine traurige Geschichte
erinnere ich mich noch ziemlich gut.
Es stand ein kleines Haus nicht weit von uns.

Dort lebte eine Mutter mit zwei Kindern.
Weg war ihr Vater auch wegen des Krieges,   
drum lebten sie zu dritt in ihrer Armut.
Ihr Schicksal war so grau und auch so traurig.

Es kam ein Tag, da sagte man zu uns:
„Die Nachbarskinder sind allein geblieben.
Gestorben in der Nacht ist ihre Mutter.
Und die zwei Kinder haben so geschrien.“

Auch ich ging hin, sie noch mal anzusehen.
Sie lag gehorsam, ruhig in dem Bett,
als wäre sie lebendig. Das zu sehen
war für mich schwer, und ich ging langsam weg.

Ganz mager, wie  die andren Frauen.
So ähnlich sahen sie lebendig aus:
so traurige, so dunkle tiefe Augen.
Die Kinder saßen weinend in dem Haus.

Man hat so leise über sie gesprochen:
„Was wird mit ihnen? Leer ist jetzt ihr Haus.“
Die einen putzten sich die Tränen mit den Röcken.
Die andren sagten: „Ihre Qual ist aus“.

Sie zu begraben, kamen alle Leute,
sogar die sich schon schwer bewegen konnten.
Über das Schicksal ihrer armen Kinder
wurde sofort in kurzer Zeit entschieden:

Es waren Eheleute ohne Kinder.
Und nur die Tochter nahmen sie zu sich.
Der Bruder musste weg ins Waisenhaus.
So sehr grausam war es also damals.

Die Antwort war bekannt, doch stellte man die Frage:
„Warum hat niemand ihr sofort geholfen?
Warum sind Menschenschicksale so grausam?“
Statt Antwort hörten wir nur stilles Seufzen.

Arm waren damals alle deutschen Leute.
Und helfen konnten sie einander nicht.                     
Es gab nichts Übriges, bei keinem.     
Wenn einer hungerte, so gab der andre nichts.

Vom schlechten Essen war sie schwach geworden.
Als man ihr aber doch noch etwas brachte
(Den eignen Kindern hat man ´s weggenommen),
so hat das leider ihr nicht mehr geholfen.

            Rechtzeitig hatte sie das Essen nicht bekommen.
Und dann war es zu spät. Sie konnte nicht mehr kauen.
Sie war zu schwach und konnte nichts mehr schlucken.
Sie musste sterben. Und die Kinder guckten...

Sie hatten ihre Mutter angesehen
und waren still. Die Kleidung arm und alt.
Sie konnten aber damals nicht verstehen,
wie groß der Jammeranblick war...

 

Die Mücken

Man kann sie kaum beschreiben, diese Mücken...
Verschieden waren sie: klein, grau und manche gelb.
Sie alle wollten saugen, sie alle brauchten Blut.
Die Hungernden, die brauchten `s aber selbst.

Man machte Rauch in einem großen Eimer,
und brachte ihn ins Zimmer, ließ ihn stehen.
Die meisten Mücken flogen zu den Fenstern
und man fing an, mit ihnen dort zu kämpfen...

Dann trug man diesen Eimer vor die Tür.
Dort stand er, wie ein Wächter, auf der Schwelle.
Es kamen doch noch manche wieder durch.
Und als wir schliefen, saugten diese ruhig.